– 10|10|25 –
Es gibt Orte, die tragen uns, ohne dass wir sie je besitzen könnten.
Für mich ist die Pferdekoppel so ein Ort. Ich nenne sie mein Atelier ohne Dach – nicht, weil sie mein zweites Zuhause wäre, sondern weil sie selbst genug ist.
Hier brauche ich keine weißen Wände und keine künstlichen Strahler. Das Licht wechselt im Rhythmus der Stunden: Morgennebel, erste Sonnenstrahlen, ein warmer Abendhimmel, der sich über den Zaun legt.
Die Koppel ist mehr als eine Weide. Sie ist Bühne und Rückzugsort zugleich. Im Herbst sammeln sich die Vögel auf den Leitungen, als hielten sie eine stille Konferenz ab, bevor sie weiterziehen. Andere bleiben, weil sie hier Nahrung finden. Die Pferdeäpfel, so unscheinbar für uns, sind für Amseln, Stare oder Krähen ein reich gedeckter Tisch. Das leise Scharren, das schnelle Picken, das Aufstieben ganzer Schwärme – all das gehört genauso hierher wie das Schnauben der Pferde.
Zwischen Gras und Himmel zeigt sich die Welt, wie sie ist: ungeschminkt, unplanbar, voller Bewegung. Manchmal gehe ich mit der Kamera über die Koppel, manchmal bleibe ich einfach nur am Zaun stehen und schaue. Die Sonne geht auf oder unter, die Schatten wandern, die Farben verändern sich. Und irgendwann weiß ich wieder: Hier draußen entstehen die Bilder, die ich nie im Studio finden würde.
Die Koppel als Lebensraum
Die Koppel ist kein leerer Raum. Sie atmet. Mit jedem Schritt, den ich über das feuchte Gras setze, spüre ich, dass hier ein ganzes Geflecht aus Leben ineinander greift. Pferde und Mulis sind die sichtbarsten Bewohner, doch sie sind nicht allein. Ihre Gegenwart zieht anderes Leben an – und das macht diesen Ort für mich zu mehr als einer Weide.
Wenn die Tiere über die Fläche ziehen, lassen sie Spuren zurück. Hufe, die den Boden aufbrechen. Äpfel, die zum Nährboden werden. Für die Vögel ist das ein Geschenk. Sie wissen, dass sich im warmen Dung Insekten und Körner finden. Stare und Amseln hüpfen dicht neben den Pferden her, manchmal so unerschrocken, als wären sie Teil derselben Herde. Krähen fliegen krächzend auf, nur um ein paar Meter weiter wieder einzutauchen. Es ist ein Kreislauf, der so einfach und selbstverständlich wirkt – und doch voller Schönheit steckt.
Im Frühjahr legt sich junges Grün über den Boden, frisch und zart, fast verletzlich. Die Pferde fressen gierig, die Vögel sammeln, was sie tragen können. Im Sommer trocknet die Sonne die Erde, der Staub tanzt im Gegenlicht, und die Schatten der Tiere zeichnen sich wie schwarze Silhouetten ab. Der Herbst bringt das große Sammeln: Schwärme von Vögeln, die in der Abendsonne auffliegen, als hätten sie sich verabredet. Und im Winter liegt Stille über der Koppel. Die Atemwolken der Pferde sind dann das Einzige, was den Frost durchbricht.
Für mich ist dieser Ort ein Kompass der Jahreszeiten. Ich sehe hier, wie Zeit vergeht, ohne Kalender. Wie das Jahr im Gras geschrieben steht, im Flug der Vögel, im Rhythmus der Tiere. Die Koppel ist ein offenes Buch – und jedes Mal, wenn ich mit der Kamera komme, schlage ich eine neue Seite auf.
Menschen auf der Koppel – Herz und Hände
Die Koppel wäre nicht derselbe Ort ohne die Menschen, die hier leben und wirken. Tiere, Licht und Jahreszeiten geben den Ton an, doch es sind die Menschen, die dafür sorgen, dass alles zusammenhält. Mit der Zeit sind sie mehr geworden als Bekannte – sie sind Freunde geworden.
Allen voran Iris, die Besitzerin und Betreiberin. Sie ist das Herz des Hofes, das leise und beständige. Mit ihrem freundlichen Wesen hält sie die Fäden in der Hand, ohne sie jemals straff zu ziehen. Sie schafft Raum für Tiere und Menschen, so wie sie sind. Ich habe oft das Gefühl, dass die Koppel ihren Atem trägt – ruhig, sicher, voller Vertrauen.
Dann ist da Lutz. Helfer in allen Lebenslagen. Er ist einer, der nicht viele Worte braucht, weil seine Hände sprechen. Zaun reparieren, Heu bewegen, Wasser tragen – er ist da, wenn man ihn braucht, und zwar genau so selbstverständlich, wie andere die Sonne am Morgen erwarten.
Anne ist die Zurückhaltende. Ihre ruhige Art ist keine Distanz, sondern eine Stärke. Sie beobachtet, hört zu, handelt im richtigen Moment. Manchmal sind es gerade die stillen Menschen, die das Fundament einer Gemeinschaft bilden. Anne ist eine davon.
Und Christin – sie sorgt für Ordnung. Nicht streng, sondern klar. Sie sieht, was getan werden muss, und packt an. Manchmal, wenn alles im Trubel zu versinken droht, ist es ihr Blick, der den Faden wieder aufnimmt.
Zusammen sind sie keine laute, bunte Gruppe, sondern eine Gemeinschaft, die auf Respekt basiert. Jeder bringt das ein, was er kann. Niemand versucht, jemand anderes zu sein. Ehrlich und echt, ohne Masken. Vielleicht ist das das Geheimnis dieser Koppel: Hier lebt man nicht nebeneinander her, sondern miteinander.
Fotografie im Freien – die Kunst des Wartens
Fotografie auf der Koppel bedeutet für mich, dass ich nicht die Regie führe. Ich bin Gast im offenen Atelier. Die Sonne entscheidet, wann sie Schatten wirft. Die Tiere entscheiden, ob sie näherkommen oder sich abwenden. Der Wind entscheidet, ob Staub tanzt oder Stille herrscht. Meine Aufgabe ist es, wach zu bleiben – und zu warten.
Warten ist eine Kunst. Es ist ein aktives Warten: beobachten, atmen, schauen, ohne zu drängen. Doch neben dieser inneren Haltung braucht es auch die Technik – sie ist mein Werkzeug, um den Moment festzuhalten, wenn er kommt.
Ich arbeite mit meiner Sony A7 IV und dem Sigma 400 mm Objektiv. Diese Kombination ist nicht leicht, aber sie gibt mir die Freiheit, auch aus der Distanz intime Momente einzufangen – ohne den Tieren zu nah zu kommen. Gerade bei Vögeln, die sich auf der Koppel niederlassen, ist das lange Teleobjektiv unverzichtbar.
Fokus: Auf der Koppel bewege ich mich zwischen Ruhe und plötzlichen Bewegungen. Deshalb nutze ich fast immer den kontinuierlichen Autofokus (AF-C). Bei den Pferden und Mulis probiere ich gern die Tieraugenerkennung aus – manchmal greift sie perfekt, manchmal muss ich doch auf den zentralen Fokuspunkt zurückgreifen. Der Vorteil des 400 mm: Ich kann Gesichter und Details nah heranholen, ohne den natürlichen Abstand zu verlieren.
Blende: Das Sigma 400 mm erlaubt mir, Tiere vom Hintergrund klar zu lösen. Ich fotografiere oft offenblendig bei f/4–f/5.6, um die Augen scharf und das Umfeld weich zu halten. Bei Vogelaufnahmen nutze ich ebenfalls gern diese Offenheit, damit die Struktur des Gefieders im Vordergrund steht und das Gras oder der Himmel dahinter in sanften Flächen verschwindet.
Verschlusszeit: Tiere sind Bewegung. Schon ein Schnauben oder Flügelschlag entscheidet über Schärfe oder Unschärfe. Auf der Koppel halte ich deshalb Verschlusszeiten von mindestens 1/1000 Sekunde – bei flatternden Vögeln auch gern 1/2000 oder schneller. Bei ruhigeren Szenen mit Pferden kann ich auf 1/500 Sekunde gehen, um die ISO niedrig zu halten.
ISO & Licht: Die Koppel ist ein Ort des wechselnden Lichts: Morgennebel, harte Mittagssonne, goldene Abende. Damit ich flexibel bleibe, lasse ich ISO meist automatisch laufen, mit einem festen Limit (bei der A7 IV meist ISO 3200). So kann ich mich auf den Moment konzentrieren, statt auf Zahlen.
Kleine Geschichten vom Zaun
Manchmal denke ich, die Koppel ist ein Treffpunkt, an dem mehr Leben zusammenkommt, als man auf den ersten Blick sieht. Nicht nur Pferde, Mulis und Menschen, sondern auch Gäste, die man nicht jeden Tag erwartet.
Da war der Wiedehopf. Sein Ruf klingt wie aus einer anderen Welt, und doch stand er plötzlich da, im hohen Gras, nicht weit von den Pferden. Sein Schopf aufgerichtet, als wolle er fragen, ob er willkommen ist. Ich hielt die Luft an, so selten war dieser Anblick. Ein paar Sekunden nur – dann war er wieder verschwunden, als hätte er sich nur kurz gezeigt, um mir zu sagen: „Schau hin, auch wir gehören hierher.“
Ein anderes Mal landete ein Storch neben dem Traktor, ganz selbstverständlich, als sei er schon immer Teil des Hofes gewesen. Das Zusammenspiel von Maschine und Vogel wirkte fast surreal – Stahl und Feder, Technik und Natur, nebeneinander auf der gleichen Erde.
Solche Begegnungen sind Geschenke. Sie passieren, wenn ich schon lange dort stehe, wenn die Geduld größer ist als die Ungeduld. Dann zeigt die Koppel, dass sie nicht nur ein Ort für Pferde ist, sondern ein Knotenpunkt im Netz der Natur. Ein Platz, an dem sich Wege kreuzen – kurz, flüchtig, aber so intensiv, dass sie im Gedächtnis bleiben.
Schluss – Warum ich draußen zuhause bin
Wenn ich die Koppel verlasse, nehme ich mehr mit als Bilder. Ich nehme Stille mit, die nicht leer ist, sondern gefüllt. Ich nehme den Rhythmus der Schritte mit – Pferdehufe, Vogelflügel, Menschen, die nebeneinander hergehen. Ich nehme die Farben des Himmels mit, die sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang verändern wie ein stilles Bühnenbild.
Die Koppel ist mein Atelier ohne Dach. Ein Ort, an dem ich nicht gestalten muss, sondern lernen darf. Ein Ort, an dem Tiere und Menschen ihre eigenen Geschichten schreiben – und ich mit der Kamera nur eine davon aufnehme. Hier finde ich kein kontrolliertes Studio, sondern eine lebendige Bühne, die größer ist als meine Vorstellungen.
Vielleicht ist es das, was mich immer wieder zurückzieht: die Ehrlichkeit dieses Ortes. Hier wird nichts schöner gemacht, nichts versteckt. Hier ist Ordnung und Chaos zugleich. Pferdeäpfel, die Vögel ernähren. Regen, der den Boden schwer macht. Sonne, die alles in goldene Töne taucht. Menschen, die anpacken, schweigen, lachen, teilen.
Es ist ein Platz, der zeigt, wie Verbundenheit aussieht – zwischen Lebewesen, zwischen Jahreszeiten, zwischen Himmel und Erde. Und ich? Ich bin dankbar, dass ich mit meiner Kamera dabei sein darf. Dass ich sehen, warten, festhalten und erzählen kann.
Vielleicht ist das die größte Erkenntnis: Man braucht kein Dach, um ein Atelier zu haben. Man braucht nur einen Ort, der ehrlich ist. Und eine Gemeinschaft, die trägt.